Ihre Formulardaten werden gesendet

ZurĂĽck

12. September 2025

📆 Randnotizen vom Acker der Welt – Folge 10

📆 Randnotizen vom Acker der Welt – Folge 10 🖋 Eine Glosse zum Zustand der Dinge. Aus der Peripherie betrachtet.

Das bedrohte Schnitzel

Europa hat viele Probleme. Inflation, Krieg, Klimawandel, Fachkräftemangel, Höfe ohne Nachfolger. Doch keine Sorge – der Agrarausschuss des EU-Parlaments kümmert sich. Endlich. Um das wirklich Wichtige: das Schnitzel.

Genauer gesagt um die Frage, wer sich „Schnitzel“ nennen darf. Fleisch ja, Soja nein. Das Abendland droht also nicht am Energiehunger zu zerbrechen, sondern an einem panierten Stück Seitan. Der Verbraucher könnte sich ja vergreifen, beherzt hineinbeißen – und feststellen: Hoppla, kein Kalb, sondern Kichererbse! Ein Skandal von kontinentaler Tragweite.

33 Abgeordnete fanden das so gefährlich, dass sie kurzerhand die Sprachpolizei losschickten. Bald vielleicht auch gegen den Käsekuchen ohne Käse, das Handtuch ohne Hände und die Teewurst ohne Tee. Man weiß ja nie, wie leichtgläubig die Bürger sind. Wenn schon Etikettenschwindel, dann bitte mit EU-Siegel.

Die christlich-konservative EVP jubelt: Ein Steak sei nun mal aus Fleisch, Punkt. Ein klarer Sieg fĂĽr die kulinarische Reinheit Europas. Gegner wie die GrĂĽnen schĂĽtteln den Kopf: Niemand hat je ein veganes Schnitzel mit einem Kalbsschnitzel verwechselt. AuĂźer vielleicht ein paar Parlamentarier in StraĂźburg, die in der Mittagspause in der Kantine die falsche Auslage erwischt haben.

Währenddessen sitzen draußen die Landwirtinnen und Landwirte mit echten Problemen. Der Milchpreis schwankt, die Hofnachfolge stockt, die Bürokratie wächst. Aber immerhin: Das Schnitzel ist gerettet. Das gibt Halt in diesen Zeiten.

Man könnte fast meinen, das Parlament betreibt eine Art agrarpolitisches Theater: Aufgeführt wird die große Oper „Schutz der bäuerlichen Tradition“, in den Nebenrollen spielen Schnitzel, Steak und Burger. Im Orchestergraben intoniert man das „Lied vom ehrlichen Etikett“. Und draußen, auf den Äckern und in den Ställen, läuft das wirkliche Stück: Existenzangst, Transformation, Strukturwandel. Leider ohne Untertitel und ohne Applaus.

Dass Sprache wirkt, bestreitet niemand. Dass sie aber die Probleme löst, glaubt wohl nur, wer in Brüssel ein Büro mit Blick auf die Place du Luxembourg hat. Hier im Alltag, zwischen Stall und Supermarkt, entscheidet sich Zukunft nicht an der Panade, sondern am Preis, an der Arbeit, an der Frage, ob junge Menschen den Mut finden, überhaupt noch Landwirtschaft zu machen.

Vielleicht sollte man den Begriff „Schnitzel“ einfach freigeben – für Fleisch, für Pflanzen, für Pilze, für Laborzellen. Dann hätten wir wenigstens eines geschafft: Wahlfreiheit für die Konsumenten und weniger Schaukämpfe für die Politik. Und die Bäuerinnen und Bauern könnten sich wieder mit Dingen beschäftigen, die mehr bringen als ein Etikett: mit ihrer Arbeit.

Bis dahin gilt: Die einen reden ĂĽber Seitan, die anderen ĂĽber Schweinepreise. Und irgendwo dazwischen fragt sich ein HofĂĽbergeber, ob es fĂĽr seine KĂĽhe ĂĽberhaupt noch eine Zukunft gibt.