Nebenerwerb in der Landwirtschaft: Kein Auslaufmodell, sondern Zukunft
Nebenerwerb in der Landwirtschaft wächst – und ist längst kein Randphänomen mehr. Mehr als jeder zweite Betrieb in Deutschland wird nebenberuflich geführt. Was steckt dahinter, welche Chancen bietet der Nebenerwerb – und warum ist er so wichtig für unsere Kulturlandschaften?

Immer mehr landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland arbeiten im Nebenerwerb. Was früher als Übergangsmodell belächelt oder als „nicht zukunftsfähig“ abgestempelt wurde, ist heute für viele Familien eine realistische und tragfähige Option. Es geht nicht nur um Einkommen – es geht um Anpassungsfähigkeit, Lebensqualität und den Erhalt unserer Kulturlandschaften.
„Mein Vater hat noch 90 Stunden pro Woche gearbeitet – ich will das nicht mehr“, erzählte mir neulich ein junger Landwirt. Solche Stimmen hört man heute immer häufiger. Und sie machen deutlich: Nebenerwerb ist kein Rückschritt, sondern Ausdruck einer neuen Realität.
Ein Blick auf die Zahlen
Der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Aktuell bewirtschaften 55 Prozent aller landwirtschaftlichen Einzelunternehmen in Deutschland ihre Flächen und Tiere im Nebenerwerb – vor zehn Jahren waren es noch 52 Prozent. Besonders hoch ist der Anteil in Baden-Württemberg, Hessen und im Saarland: Hier wird sogar rund jeder zweite bis zwei von drei Höfen nebenberuflich geführt.
Die offizielle Definition klingt nüchtern: Ein Nebenerwerbsbetrieb liegt dann vor, wenn weniger als die Hälfte des Nettoeinkommens aus der Landwirtschaft stammt. Doch hinter dieser Zahl verbirgt sich mehr als nur Statistik.
Warum der Nebenerwerb wächst
Die Gründe für den Trend sind vielfältig. Viele Hofnachfolger:innen haben attraktive Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft gefunden und wollten den Betrieb nicht aufgeben, aber auch nicht ausschließlich von ihm leben. Für andere reichte das landwirtschaftliche Einkommen allein nicht mehr aus. Und manchmal war es schlicht eine Frage der Nachfolge: Gab es niemanden, der den Hof im Vollerwerb weiterführen wollte, wurde er auf Nebenerwerb umgestellt – und so innerhalb der Familie gesichert.
Ein Beispiel aus Mittelhessen zeigt diesen Wandel deutlich: Der Großvater führte den Hof im Vollerwerb, der Vater stellte auf Nebenerwerb um, der Sohn schließlich arbeitet als Ingenieur – und hält den Hof mit einigen Hektar Grünland weiter. Aufgegeben wurde der Betrieb damit nicht – er wandelte sich.
Zwischen Effizienz und Realität
Untersuchungen der Buchführungsergebnisse zeigen: Nebenerwerbsbetriebe nutzen ihre Arbeitszeit weniger effizient als Haupterwerbsbetriebe – die Arbeitszeitverwertung liegt bei etwa der Hälfte. Aber was bedeutet das?
Wer Landwirtschaft neben Beruf und Familie betreibt, kann nicht dieselben Rationalisierungseffekte erzielen wie ein Großbetrieb. Maschinen werden länger genutzt, Investitionen vorsichtiger getätigt, Arbeitsschritte weniger standardisiert. Und trotzdem gilt: Effizienz ist nicht alles. Gerade weil Nebenerwerbsbetriebe anders wirtschaften, sichern sie Vielfalt und Stabilität im ländlichen Raum.
Neue Arbeitsmodelle – für alle Betriebe
Die Frage nach Arbeitsorganisation betrifft nicht nur Nebenerwerbsbetriebe. Sie ist für alle Betriebe zentral. Jahrzehntelang galt das Bild des „tüchtigen Landwirts“, der Tag und Nacht arbeitet, jede Maschine selbst besitzt und jede Arbeit allein erledigt. Doch was heißt eigentlich „tüchtig“ im Jahr 2025? Reicht es, möglichst viele Stunden auf dem Acker zu verbringen – oder zählt nicht vielmehr, wie klug man seine Zeit organisiert?
Heute entstehen zahlreiche Modelle, die Arbeit und Leben erleichtern: Maschinengemeinschaften, Betriebsgemeinschaften, Futterbaukooperationen oder der gezielte Einsatz von Lohnunternehmen. Sie entlasten nicht nur Nebenerwerbsbetriebe, sondern auch große Haupterwerbsbetriebe. Der Gedanke, alles selbst tun zu müssen, ist überholt.
Mehr als Einkommen
Nebenerwerbsbetriebe leisten weit mehr, als in Euro und Cent messbar ist. Sie halten Kulturlandschaften offen, bewahren Streuobstwiesen oder extensives Grünland, das ökonomisch schwer tragfähig wäre, ökologisch aber unschätzbar wertvoll ist. Sie tragen zur Biodiversität bei, sichern Arbeitsplätze im ländlichen Raum und schaffen Bindung zwischen Hof und Dorfgemeinschaft.
Oft sind es gerade die Nebenerwerbsbetriebe, die regionale Märkte bereichern – sei es mit einer kleinen Direktvermarktung, einer Hofkäserei im Nebengebäude oder einer Ferienwohnung auf dem Hof. Vielfalt entsteht nicht trotz, sondern gerade wegen des Nebenerwerbs.
Brücke in der Hofnachfolge
In vielen Beratungen zeigt sich: Der Nebenerwerb ist eine Brücke in der Hofnachfolge. Er gibt Familien Zeit, über die Zukunft nachzudenken. Er ermöglicht Kindern, Landwirtschaft auszuprobieren, ohne sofort den vollen Druck des Einkommens tragen zu müssen. Und er schafft Übergänge zwischen Generationen: Wenn der Vollerwerb nicht mehr realistisch ist, wird der Nebenerwerb zur Lösung, die Kontinuität wahrt.
„Ohne den Nebenerwerb hätten wir längst aufgeben müssen“, erzählte mir eine Familie aus Nordhessen. „So können wir den Hof weiterführen, bis unsere Tochter entscheidet, ob sie ihn eines Tages übernehmen will.“
Politische Anerkennung fehlt
Trotz ihrer Bedeutung stehen Nebenerwerbsbetriebe oft im Schatten der Vollerwerbsdiskussion. Förderprogramme und politische Debatten richten sich meist auf große Betriebe. Dabei wäre es höchste Zeit, auch die Leistungen und Potenziale des Nebenerwerbs zu berücksichtigen:
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Wie können Förderprogramme so gestaltet werden, dass sie Nebenerwerbsbetriebe nicht ausschließen?
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Welche Rolle spielt der Nebenerwerb für Versorgungssicherheit und Resilienz?
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Und wie lassen sich gesellschaftliche Leistungen – von Biodiversität bis Kulturerhalt – sichtbar machen und honorieren?
Fazit: Zukunftsfähig und unverzichtbar
Nebenerwerbsbetriebe sind keine Relikte der Vergangenheit. Sie sind flexible, widerstandsfähige und gesellschaftlich hoch relevante Akteure. Sie verbinden Landwirtschaft mit außerlandwirtschaftlichen Tätigkeiten, schaffen Vielfalt und halten ländliche Räume lebendig.
Vollerwerb und Nebenerwerb sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten derselben Medaille. Gemeinsam tragen sie dazu bei, dass Landwirtschaft auch in Zukunft bestehen kann – als Beruf, als Lebensweise und als Teil unserer Kultur.
Nebenerwerb ist kein Auslaufmodell. Er ist eine Zukunftssäule der Landwirtschaft – und verdient endlich die Anerkennung, die seiner Bedeutung entspricht.